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ANERWELTEN

Aus dem Schiffsbuch der Salteema

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(Text by Luc François)

Salteema Schiffsbuch-Eintrag 2486

Ich habe die Stille zwischen den Sternen nie recht ertragen. Mein Leben lang habe ich sie als trügerisch empfunden, ihr Versprechen von zeitloser Abgeschiedenheit hat sie wieder und wieder gebrochen. Immer nur kurz lädt sie zum Verweilen ein, bevor der nächste Halt ruft: Ein weiterer Handel, ein neuer Auftrag, das Treffen mit einem Informanten oder ein dringlicher Bringdienst, allesamt in den Winkeln des Kosmos verstreut.

Nun, da mein Schiff den nächsten – und letzten – Sprung berechnet, frage ich mich: Ist am Ende nicht doch der Mensch Schuld, welcher sich dieser Stille wissentlich entzieht? Es ist mir ein Trost, diese Frage mitnehmen zu dürfen. Eine brauchbare Gesellschaft auf dem letzten Halt, der meinen Lebensweg beschließt. Welche Antwort ich auch finden werde, sie wird ungehört bleiben; wird sich in die Stille eingliedern und damit eine der wenigen Informationen sein, die mir nicht eine müde Münze einbringt. Macht sie das nun besonders wertvoll oder besonders nutzlos?

Vorhin ist mir ein Zweifel an meinem Unterfangen gekommen. Ob es denn wirklich notwendig sei, habe ich mich gefragt. Begriffe wie Reue, Wiedergutmachung und Absolution sind mir in den Sinn gekommen, aber ich habe sie im Nu als die Luftschlösser enttarnt, die sie nun einmal sind. Ein verzweifelter Versuch, mir selbst einen Handel anzubieten: Werde ein besserer Mensch, führe ein redliches Leben, dann musst du diesen Schritt nicht gehen.

In mir steckt kein besserer Mensch. Ich habe es mir damit ja selbst bewiesen: Ich bin durch und durch ein Händler. Einer, der stets verspricht, der stets nimmt, ohne je wirklich zu geben. Und ich gebe ja zu, es hat sich gut angefühlt. Ich bin ein Naturtalent gewesen. Aber ich will es nicht mehr sein.

Der Sprung in den vergessenen Sektor wird während meiner Nachtruhe stattfinden. Darin soll mein letzter Handel bestehen: Im Austausch für alles, was ich genommen habe, gebe ich mich nun selbst her. Vielleicht, so hoffe ich, wird mir als kleine Dreingabe für einen Stammkunden ja ein Fitzelchen Frieden während meiner letzten Tage gewährt.

Adieu, alte Welt.

 

Salteema Schiffsbuch-Eintrag 2487

Die Salteema ist ein schnelles, zuverlässiges Schiff, das mir stets gute Dienste geleistet hat. Ein Jammer, wird sie bis in alle Ewigkeit im vergessenen Sektor treiben. Wohl bewusst, dass es sich dabei lediglich um ein Ding handelt, kann ich doch den einen Gedanken nicht abschütteln: Das hat sie nicht verdient.

Für lange Reisen wurde die Salteema nicht gebaut. Mit gerade einmal genug Platz für zwei Personen, zuzüglich Fracht, sind die Sauerstoffvorräte knapp bemessen. Ich habe im Vorfeld nicht wirklich darüber nachgedacht, was passieren wird, sobald ich ganz auf mich allein gestellt bin: Werde ich verhungern oder verdursten, weil mir die Vorräte zur Neige gehen? Wird ein umherirrender Asteroid in diesem abgelegenen Flecken Nichts mit dem Schiff kollidieren und es in Stücke reißen?

Wahrscheinlicher ist, dass ich in nicht allzu ferner Zukunft ersticken werde. Nun, irgendwie muss es ja enden.

 

Salteema Schiffsbuch-Eintrag 2488

Das Warten fällt mir schwer. Ich habe viel Zeit zum Nachdenken, aber in erster Linie denke ich darüber nach, wie schnell mir die Zeit durch die Finger rinnt. Zugleich kann es nicht schnell genug gehen, das Alleinsein behagt mir nicht – als Händler liegt der zwischenmenschliche Kontakt nun einmal in meiner Natur.

Wenn ich die Dinge einmal aus einer anderen Perspektive betrachte und diese Einsamkeit als Strafe auslege, kann ich mich damit schon eher anfreunden.

Habe ich nicht Buße leisten wollen?

Buße … ein Wort, das in meiner Vorstellung stets einen erhabenen Klang hatte. Von dieser Erhabenheit kann ich jetzt nichts feststellen, ich habe sie mit der Umsetzung meines Plans wohl gegen das Banale eingetauscht.

Nur eine Sache stellt sich der Banalität entgegen: Ein Objekt auf dem Schiffsradar, dessen Kurs sich mit meiner Position überlappt. Was auch immer da herannaht, kann es mir den Erstickungstod ersparen?

 

Salteema Schiffsbuch-Eintrag 2489

“Vor dir, mein Freund, steht der Piratenkapitän Samun D. Tam. Betrachte dich als Gefangener meiner Mannschaft.”

Nach wie vor fällt es mir schwer zu verstehen, was genau sich heute ereignet hat. Das Objekt vom Vortag hat sich als fremdes Schiff entpuppt. Um welches Modell es sich handelt, habe ich nicht sehen können, da sich der Überfall während meiner Rast ereignet hat. Sie haben mich geweckt, da befand sich die Salteema bereits im Bauch dieses Monstrums – es muss sich mindestens um einen der riesigen Frachter handeln, wie sie das Syndikat einsetzt.

 Doch auch wenn mich dieser Fremde und sein Gefolge als Gefangener betitelt haben, komme ich mir nicht wie ein solcher vor. Sie haben mich an Bord geleitet und mir eine warme Mahlzeit hingestellt, haben meinen Becher reichlich mit Spirituosen gefüllt, während sie Musik abgespielt und lauthals mitgesungen haben. Ständig ist einer hinzugestoßen und ein anderer wieder gegangen, sodass es mir in diesem wüsten Treiben nicht geglückt ist, die Anzahl der Passagiere zu bestimmen.

Bei aller Gastfreundschaft ist mir allerdings auf keine meiner Fragen eine Antwort gewährt worden. Jedenfalls keine, die über eine Aufforderung zum Trinken hinausgeht. Nachdem mich die vielen Augenpaare zur Genüge bemustert hatten, hat man mich zurück zur Salteema geleitet, die – so hat man mir gesagt – vorerst als meine Zelle fungiert.

In der Tat: Die Tür lässt sich von innen nicht länger öffnen, sodass mir derzeit nichts anderes übrig bleibt als das Erlebte mit leichtem Schwips niederzuschreiben.

 

Salteema Schiffsbuch-Eintrag 2490

Der Kapitän, dessen Alter ich aufgrund des wilden Bartes nur schwer ablesen kann, ist am Morgen persönlich zu mir gekommen, hat es sich auf dem Sitz des Co-Piloten gemütlich gemacht und mir die Flasche gereicht. “Komm, trink. Trink nach Herzenslust!”, hat er dabei gerufen. Nachdem ich meine Kehle zum dritten Mal mit dem Gebräu ausgebrannt hatte, sind die eben noch freundlichen Augen mit einem Mal ernst geworden, und sein Blick hat sich regelrecht in mich gebohrt.

Ich solle ihm Bericht erstatten, hat er mich aufgefordert. Ihm erzählen, welche Umstände mich in den vergessenen Sektor verschlagen haben.

Meine Beweggründe mit diesem verlotterten Fremden zu teilen, noch dazu unter derlei sonderbaren Umständen, dazu habe ich mich nicht durchringen können. Meine aufrichtige Entschuldigung hat der selbsternannte Freibeuter mit einer Handbewegung abgetan. Er werde morgen zurückkommen, hat er mich wissen lassen, vorerst müsse ich in meinem Schiff verweilen.

Zweimal hat sich die Tür der Salteema an diesem Tag noch geöffnet: Man hat mir Speis und Trank gebracht. Wie befürchtet muss ich meinen Durst mit Hochprozentigem stillen, dem ich nur mit Mühe gewachsen bin. Zum besseren Verständnis meiner Lage trägt er nicht bei, zum Zeitvertreib eignet er sich dagegen schon.

 

Salteema Schiffsbuch-Eintrag 2491

Ich will mich kurz fassen: Abgesehen von rasenden Kopfschmerzen und einer neuen Flasche, mit welcher ich erstere zu bezähmen versuche, hat der Tag nichts Neues gebracht. Der Kapitän scheint mir meine Verschlossenheit allerdings nicht übermäßig zu verübeln.

 

Salteema Schiffsbuch-Eintrag 2492

Über mein Tun vor dem Sprung in den verlassenen Sektor habe ich auch an diesem Tag nicht berichtet, doch hat mir der Kapitän eine Gegenfrage gewährt. So habe ich zu wissen verlangt, was genau es mit dieser Piraten-Geschichte eigentlich auf sich hat.

“Irgendwo in dieser Einöde, mein unwissender Gefangener, ist der größte Schatz der Welt versteckt. Den hole ich mir”

Ich bin geneigt, meinen Gastgebern den Verstand abzusprechen, doch muss ich ihnen eine gewisse Kompetenz zugestehen: Sie verfügen über ein funktionierendes, gut ausgestattetes Schiff mit frischen Vorräten – oder gibt es gar Gewächshäuser und Produktionsstätten an Bord? – und scheinen bereits eine Weile unbeschadet durch den verlassenen Sektor zu reisen. Zweifellos finden sich in ihren Reihen auch solche, die ihr Handwerk beherrschen.

Und ich gebe zu, ich bin neugierig, mehr zu erfahren. Aber habe ich auch das Recht, dies alles zu ergründen? Schließlich habe ich mich nicht ohne Grund zu dieser Reise ohne Rückkehr entschieden.

 

Salteema Schiffsbuch-Eintrag 2493

Heute ist mein fünfter Tag bei den Freibeutern. Ebenso ist heute der Tag, an dem ich dem Kapitän einen Einblick in meine Vergangenheit gewährt habe.

Erst hat er geschwiegen, hat gründlich über meine Worte nachgedacht, anschließend hat er sich bei mir für meine Offenheit bedankt. Aber wie soll ich mit diesem Dank umgehen, wo an jedem gesprochenen Wort unermessliche Scham haftet?

“Mein Bruder”, hat sich der Kapitän schließlich an mich gerichtet und mir einmal mehr die Flasche in die Hand gedrückt, “verstehst du denn nicht? Wir sind hier alle vom selben Schlag. Verbrecher, Betrüger, Abschaum … Piraten eben! Einer verkehrter als der andere. Glaubst du, da beeindruckst du mit deiner Geschichte jemanden? Komm mit, wir gehen zu den anderen.”

Diesmal habe ich nicht bloß mit dem Rest speisen und trinken dürfen, sondern mir dieses Vergnügen durch kleinere Arbeiten im Schiff auf verdienen müssen. Es gibt also durchaus etwas wie eine Ordnung an Bord, durch welche die Dinge am Laufen gehalten werden. Einen wirklichen Durchblick habe ich in dieser kurzen Zeit noch nicht gewinnen können, doch scheint der Kapitän zusammen mit seinen engsten Vertrauten die Abläufe vorzugeben.

Der Aufforderung, meine Kajüte zu beziehen, bin ich nicht nachgekommen. Vorerst sei es mir lieber, in meinem eigenen Schiff zu nächtigen, habe ich mich erklärt. Entgegen der Befürchtung, man werde mir diesen Wunsch ausschlagen, bin ich auf Gehör gestoßen.

 

Salteema Schiffsbuch-Eintrag 2494

An diesem Tag werde einer über die Planke gehen, hat mich der Kapitän unterrichtet. Anstelle des sonst so heiteren Ausdrucks hat sein Gesicht dabei steinern und freudlos gewirkt. Mein Staunen muss in ihm etwas losgetreten haben, denn er hat urplötzlich losgepoltert: “Du wirst ja nicht geglaubt haben, auf meinem Schiff sei alles erlaubt! Wer das Wohlergehen der Crew gefährdet, verdient eine Strafe. Wie soll das sonst auch funktionieren mit diesem verbrecherischen Haufen?”

Habe ich es auf eine Konfrontation angelegt mit meiner Frage, mit welchem Recht er denn über Leben und Tod verfüge?

“Mein Freund, du vergisst eine Kleinigkeit: Alle, die wir an Bord dieses prächtigen Schiffs sind, haben wir an einem bestimmten Punkt Abschied vom Leben genommen. Diese Mannschaft besteht aus Toten, denen ich eine Gnadenfrist gewährt habe. Ich streiche lediglich einen Namen von der Warteliste.”

Mit diesen Worten hat er sich davongemacht und die Tür der Salteema abgeschlossen. Eine Mahlzeit ist mir an diesem Tag nicht gebracht worden, sodass ich auf meine eigenen Vorräte habe zurückgreifen müssen.

 

Salteema Schiffsbuch-Eintrag 2495

Der Begriff der Warteliste hat sich in meinem Kopf festgesetzt. Ist das eine adäquate Darstellung der Dinge? Ich komme nicht herum, darin meine eigene Handschrift zu erkennen. Kapitän Samun D. Tam, bist du am Ende genau wie ich ein Händler, der nur darauf bestrebt ist, den eigenen Leuten das Leben unterzujubeln, obschon sie sich für den Tod entschieden haben?

Als er am Morgen wieder mein Schiff aufgesucht hat, wie er es seit meiner Ankunft zu tun pflegt, da habe ich ihm zum Gehen gebeten. Ich müsse nachdenken, habe ich ihm gesagt.

Dieses lächerliche Gehabe mit der Freibeuterei, ist das nicht bloß eine weitere Fassade, um sich mit der Frage nach der Moral nicht befassen zu müssen? Mein bärtiger Freund, wir sind uns ähnlicher als du annehmen magst. Ich durchschaue dein Spiel. Nur was treibt dich dazu? Hast auch du dich einst von deinen Dämonen zum Sprung in den vergessenen Sektor verleiten lassen, bloß um festzustellen, dass du zum Sterben doch nicht bereit bist? Und nun sammelst du uns ein, einen nach dem anderen, um dich selbst mit deinem Piratenspiel am Leben zu halten.

Nur wer bin ich, über dich zu richten? Ich sitze doch selbst seit einer vollen Woche hier in meinem Schiff und kann mich nicht entscheiden, welche Richtung ich einschlagen soll. Vor mir baumelt der Köder, den du mir am Vortag hingehalten hast: Misslingt es mir, das Schlechte aus meiner Vergangenheit von mir zu stoßen, so werde auch ich über kurz oder lang von der Planke gestoßen. Lasse ich mich auf einen weiteren Handel ein?

Ich weiß es nicht, kann mich nicht entscheiden. Aber ich muss es tun, denn eines ist mir klar: In dieser Zwischenwelt kann ich nicht länger bleiben. So habe ich mir vorgenommen, dem Kapitän am nächsten Morgen meine Entscheidung mitzuteilen. Wie diese auch ausfallen mag, dies wird mein letzter Eintrag im Schiffsbuch der Salteema sein.

Mein treues Schiff … Ob ich mich am morgigen Tag nun dem schwitzigen Miteinander zwischen Rum, kehligem Gesang und der immerwährenden Schatzsuche hingebe, oder die Sache mit dem Ende in die Tat umsetze, ich möchte dir hiermit für deine Dienste danken.

Author

  • Luc wurde sein ganzes Leben lang liebevoll als Spinner bezeichnet, was er als Aufforderung zum Verfassen etlicher Fantasy- und Science-Fiction-Geschichten verstanden hat. Als Frontmann der Band Mindpatrol zeigt er außerdem, dass er ganz doll laut schreien kann. Manchmal kombiniert er beides, was er dann als "künstlerisch wertvoll" bezeichnet.

    https://www.facebook.com/LucFrancoisAutor
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